Messiah’el Bey – Azteca Charm
Nach “Jazz Can Heal America’s Soul” und “The Karma of Trust” schließt Messiah’el Bey seine ambitionierte Trilogie mit “Azteca Charm” ab, einem Album, das in dreizehn außergewöhnlichen Tracks Frauenförderung und kulturellen Stolz vereint. Der in Brooklyn ansässige Musiker stellt zwei neue Stimmen vor: Gangsta Womb und Spanish Fly, zwei Sängerinnen, die den Charakter dieses Albums grundlegend prägen und es auf große Höhen heben. Das Ergebnis wirkt sowohl persönlich als auch politisch, intim und zugleich trotzig und markiert einen künstlerischen Höhepunkt in Beys Karriere.
Das Album beginnt mit “Act 1: Introduction”, einem gesprochenen Interlude, das dem Hörer sofort klar macht, dass dies keine zufällige Sammlung von Songs ist. Beys Hintergrund als Spoken-Word-Künstler kommt hier voll zum Vorschein. Er behandelt “Azteca Charm” als ein Theaterstück in drei Akten, wobei jeder Akt eine neue Schicht zur Geschichte über Befreiung und Widerstand hinzufügt. Diese Struktur verleiht dem Album nicht nur Kohärenz und Richtung, sondern verwandelt es in ein vollständiges künstlerisches Erlebnis, das den Hörer von Anfang bis Ende mitnimmt.
Der Titelsong setzt sofort den Ton und überzeugt direkt. Spanish Fly betritt die Bühne mit einer Stimme, die puertoricanische Wärme ausstrahlt, genau wie der Titel verspricht. Ihr Zusammenspiel mit Gangsta Womb funktioniert nicht nur überraschend gut, es fühlt sich an, als hätten diese Stimmen schon immer zusammengehört. Wo man bei dem letzteren Namen einen Rapper erwarten könnte, erweist sie sich als vielseitige Sängerin, die mühelos zwischen verletzlichen Momenten und kraftvollen Aussagen wechselt. Bey schafft es auf bemerkenswerte Weise, diese Talente zu entdecken, und das bleibt ein außergewöhnliches Geschenk, das dieses Album besonders macht.
Die vier folgenden Tracks bilden das emotionale Zentrum des ersten Abschnitts. “Loving You” beginnt romantisch, doch das Album verweilt nicht dort. “I’m not your bitch” ändert den Kurs brutal mit einer direkten Botschaft über Autonomie. Gangsta Womb klingt hier am rohesten, unterstützt von einer bewusst unpolierten Produktion, die gerade deshalb so kraftvoll wirkt. Der Kontrast zu “Kissing Blues” ist auffällig, ein Track, in dem Beys Jazz-Wurzeln deutlich hörbar werden und voll erblühen. Die Atmosphäre erinnert an seine Arbeit an “The Nuyorican Jazz Experience”, klingt hier jedoch voller, reicher und gereifter. “Sunny Days” bietet einen perfekten Atemraum, bevor der Übergang zu “By any means nescessary” über eine beträchtliche Serie von Samples erfolgt. Diese Wahl wirft Fragen auf, da die Stimmen von Gangsta Womb und Spanish Fly, kombiniert mit Beys organischer Instrumentierung, das Album bereits auf solche Höhen bringen, dass die Samples überflüssig wirken. Es ist einer der wenigen Momente, in denen Beys Produktionsentscheidungen den natürlichen Fluss des Albums etwas unterbrechen. “By any means nescessary” selbst schließt den ersten Abschnitt überzeugend mit einer unmissverständlichen Referenz zu Malcolm X ab.
“Act II: Cointelpro” bezieht sich auf das FBI-Programm, das schwarze Aktivisten infiltrierte und sabotierte. Dieser historische Kontext färbt “Extra Extra”, einen dringenden Track, in dem die persönlichen Geschichten aus dem ersten Abschnitt in einen breiteren sozialen Kampf eingebettet werden. Beys Produktion wird hier dichter und intensiver, mit Schlagzeug, das Spannung aufbaut und aufrechterhält und die Aufmerksamkeit fesselt.
Der Höhepunkt ist ohne Zweifel “Ode to Lolita Lebrón”, ein Track, der allein schon den Kauf dieses Albums rechtfertigt. Spanish Fly liefert hier ihre beste Leistung des Albums und zollt der puertoricanischen Aktivistin Tribut, die 1954 das Kapitol angriff, um gegen die amerikanische Besetzung zu protestieren. Es ist eine mutige Entscheidung, eine so kontroverse Figur ins Rampenlicht zu stellen, doch Beys Ansatz ist respektvoll, ohne zu verherrlichen. Spanish Fly findet das richtige Gleichgewicht zwischen Ehrfurcht und Emotion, unterstützt von subtilen afro-karibischen Rhythmen und Streichern, die dem Track eine filmische Größe verleihen. Das ist Bey auf seinem stärksten Niveau, ein Musiker, der weiß, wie man kulturelle Geschichte in Musik übersetzt, ohne in Klischees zu verfallen. Ein Meisterwerk innerhalb eines starken Albums.
“Act III: The Conclussion” führt mit einer überraschenden Wendung zum Finale. “God only knows” ist die erste Coverversion in Beys Katalog, und welch gelungene Wahl. Er nimmt den Track der Beach Boys und schafft daraus etwas völlig anderes, zurückhaltend und melancholisch, passend zu seinem Jazz- und Soul-Vokabular. Es scheint eine bewusste Entscheidung zu sein, nach all dem Trotz innezuhalten und über universelle Gefühle nachzudenken, und diese Wahl funktioniert perfekt.
“Sister – Demo Version” schließt das Album auf eine Weise ab, die zunächst Fragen aufwirft, letztlich aber durch ihre Aufrichtigkeit überzeugt. Die Spontaneität und Natürlichkeit dieser Aufnahme passen perfekt zur Philosophie der organischen Musikproduktion, die sich durch das gesamte Album zieht. Gangsta Womb klingt hier unbearbeitet und natürlich, was zu einem intimen, emotional berührenden Abschluss führt. Es ist kein Kompromiss, sondern eine bewusste künstlerische Entscheidung, die zeigt, dass Bey das Konzept über die Konvention stellt.
Produktionsseitig wählt Bey einen wärmeren Ansatz als bei “The Karma of Trust”, jenem Album, das mit Psychedelik und Gästen der Wu-Tang Clan spielte. Hier dient alles den weiblichen Stimmen, und diese Entscheidung zahlt sich mehrfach aus. Bey lässt seiner Produktion Raum zum Atmen, zieht sich zurück, wo nötig, und weiß genau, wann er hervorstechen muss. Bemerkenswert ist die Hinwendung zum Latin Jazz. Afro-karibische Rhythmen und Clave-Muster spielen eine größere Rolle als auf seinen früheren Alben und verleihen “Azteca Charm” einen unverwechselbaren Charakter. Die Instrumentierung ist weitgehend live, mit Tasteninstrumenten, Streichern und Percussion, die zusammen ein reiches Klanggewebe weben, das an Tito Puente und Eddie Palmieri erinnert, jedoch mit einer zeitgenössischen Note, die typisch für Bey ist. Die Produktion klingt warm und organisch, genau das, was das Album braucht.
Der Kontrast zwischen Spanish Fly und Gangsta Womb bleibt während des gesamten Albums faszinierend. Spanish Fly verfolgt einen eher ausgebildeten, klassischen Ansatz, während Gangsta Womb direkter und roher klingt. Diese Unterschiede funktionieren hervorragend, da sie dem Album Variation verleihen, ohne die Kohärenz zu verlieren. Ihre Interaktion schafft eine Dynamik, die das Album ständig spannend hält.
Das Thema Frauenförderung hätte leicht schwer und moralisierend wirken können, doch Bey vermeidet diese Falle vollständig. Die Botschaft entsteht aus den Geschichten und Emotionen der Sängerinnen selbst und wirkt daher authentisch und kraftvoll. Sie überzeugt, weil sie aufrichtig ist, nicht, weil sie gepredigt wird. Selbst “I’m not your bitch” mit seinem direkten Titel wirkt nicht derb, sondern ehrlich, ein notwendiger Ausbruch im Kontext des Albums.
Als Abschluss einer Trilogie bringt “Azteca Charm” nicht nur Fokus und Klarheit, sondern übertrifft auch seine Vorgänger. Während “Jazz Can Heal America’s Soul” die Grundlage legte und “The Karma of Trust” experimentierte, findet Bey hier sein bestes Gleichgewicht zwischen Zugänglichkeit und künstlerischer Integrität, zwischen Persönlichem und Politischem, zwischen Experiment und Tradition. Die Akte sind keine überflüssigen Zwischenspiele, sondern essenzielle Verbindungen, die dem Album konzeptionelle Tiefe verleihen und es in ein kohärentes Kunstwerk verwandeln. Ohne diese Zwischenspiele würde sich “Azteca Charm” in separate Tracks fragmentieren. Jetzt bildet es ein fesselndes Ganzes, in dem jedes Element genau seinen Platz hat.
“Azteca Charm” bestätigt, dass Messiah’el Bey zu einer der interessantesten und relevantesten Stimmen im zeitgenössischen Jazz und Soul geworden ist. Er lässt sich nicht durch Erwartungen oder Genres einschränken und schafft Musik, die sowohl intellektuell stimulierend als auch emotional berührend ist. Dies ist kein beiläufiges Hörerlebnis, sondern ein Album, das Aufmerksamkeit verlangt und vielfach belohnt. Nach mehreren Hördurchgängen offenbaren sich weiterhin neue Schichten, ein Zeichen für ein Werk, das auf Dauer gebaut ist. Mit “Azteca Charm” hat Bey nicht nur erfolgreich eine Trilogie abgeschlossen, sondern auch sein Meisterwerk geliefert. Dies ist unbestreitbar das beste Album seiner Karriere und gleichzeitig der absolute Höhepunkt der Jazz- und Soul-Szene 2025. Ein Album, das das Jahr prägen wird. (9/10) (Independent Release)

