Übersicht über die Albumrezensionen: Chick Corea, Jazzanova und mehr

Jede Woche treffen Dutzende neuer Alben in der Redaktion von Maxazine ein. Viel zu viele, um sie alle anzuhören, geschweige denn zu rezensieren. Eine Rezension jeden Tag bedeutet, dass zu viele Alben zurückbleiben. Und das ist eine Schande. Deshalb veröffentlichen wir heute eine Übersicht der Alben, die in Kurzrezensionen in der Redaktion eintreffen.

Foto (c) Jorge Fakhouri

Daniel Herskedal – Movements of Air

Denken Sie an Jazz und das erste Blasinstrument, das Ihnen einfällt. Saxophon. Trompete. Vielleicht Posaune. Und die Tuba? Ja, genau, die Tuba. Das ist das Instrument, das der norwegische Komponist Daniel Herskedal ansetzt auf “Movements of Air”, nur unterstützt von Klavier und Schlagzeug. Viel minimalistischer geht es nicht. Dieses “air” bezieht sich nicht auf die Menge an Luft, die man braucht, um eine Tuba zu spielen, sondern auf die Kompositionen selbst. Herskedal schöpft dabei Inspiration aus der Natur, die sein Heimatland in überwältigendem Maße bietet. “Movements of Air” umfasst zehn filmische Kompositionen, auf denen Herskedal zeigt, wie fein eine Tuba klingen kann – und vor allem, wie vielseitig sie ist. Als würde man mit einem Malerpinsel feine Details malen. Die Abwechslung in den zehn Kompositionen hinsichtlich Tempo und Atmosphäre ist nicht nur beeindruckend, sondern auch sehr angenehm. Von der ruhigen Eröffnung “The Olive Branch” bis hin zum Groove in schnelleren Stücken wie “Change”, in dem Schlagzeuger Helge Norbakken buchstäblich die treibende Kraft ist. Herskedal zaubert mit der Tuba. Es ist eine wahre Kunst, das Instrument leicht klingen zu lassen, als könnte es auf Luft schweben, um ein paar Takte später die Kraft des Instruments offenzulegen. Doch der Klang bleibt immer nuanciert. Der Norweger nutzt die gesamte Bandbreite des Instruments, was die Musik spannend hält. Trotz der minimalen instrumentalen Besetzung bleibt man gebannt, wie sich die Tuba und das Klavier von Eyolf Dale suchen, herausfordern, verstärken und manchmal in reichen Harmonien wie in “Elements of Harmony” miteinander verschmelzen. Mystischer Minimalismus, wunderschön umgesetzt auf einem mächtigen Instrument, das auch ganz klein klingen kann. (Jeroen Mulder) (9/10) (Edition Records)

Chick Corea, Christian McBride, Brian Blade – Trilogy 3 (Live)

“Trilogy 3”, das neue Doppel-Live-Album der Jazzlegende Chick Corea mit Christian McBride und Brian Blade, bildet einen würdigen Abschluss einer beeindruckenden Karriere. Aufgenommen während Coreas letzter Tournee im Jahr 2020, kurz vor dem Ausbruch der Pandemie, bietet diese Platte eine meisterhafte Demonstration dessen, was möglich ist, wenn drei Virtuosen mit einer tiefen musikalischen Verbindung zusammenkommen. Das Trio baut auf dem Erfolg der mit Grammys ausgezeichneten Vorgänger “Trilogy” (2013) und “Trilogy 2” (2018) auf, fügt ihrem Zusammenspiel live jedoch neue Dimensionen hinzu. Die acht Tracks, darunter sowohl Corea-Kompositionen als auch Neuinterpretationen von Jazzstandards u.a. von Thelonious Monk und Bud Powell, zeigen eine perfekte Balance zwischen technischer Brillanz und emotionalem Ausdruck. Höhepunkte sind die verspielte Darbietung des Openers “Humpty Dumpty”, in dem Coreas einfallsreiches Klavierspiel glänzt, und die überraschende Bearbeitung von Scarlattis “Sonata in D Minor”, eine nahezu perfekte Mischung aus Jazz und Klassik. Auch das über fünfzehnminütige “You’d Be So Easy To Love” verdient Erwähnung. McBrides warmer, resonanter Bass und Blades subtil kraftvolles Schlagzeugspiel bilden ein unwiderstehliches Fundament, auf dem Corea brillieren kann. Was dieses Album so besonders macht, ist die spontane Interaktion und die selbstverständliche Art, mit der diese drei Meister die musikalischen Ideen des jeweils anderen erfassen und ergänzen. “Trilogy 3” ist wie ein intimes Gespräch zwischen drei Virtuosen, die sich perfekt verstehen. Als Schlusspunkt in der beeindruckenden Karriere des 28-fachen Grammy-Gewinners (verstorben 2021) bietet “Trilogy 3” sowohl einen Rückblick als auch einen Ausblick darauf, was Jazz sein kann: zeitlos, grenzüberschreitend und tief bewegend. (Norman van den Wildenberg) (9/10) (Candid Records)

Self Esteem – A Complicated Woman

Auf ihrem dritten Album “A Complicated Woman” umarmt Rebecca Lucy Taylor, besser bekannt als Self Esteem, die Grauzonen des Lebens mit erfrischender Ehrlichkeit. Nach ihrem erfolgreichen Durchbruch mit “Prioritise Pleasure” und einer theatralischen Wendung als Sally Bowles in “Cabaret”, kehrt sie mit einem Album zurück, das ebenso komplex wie befreiend ist. Taylors paradoxes Denken kommt wunderbar zur Geltung in Songs wie “Cheers to Me” und “The Curse”, in denen sie offen über ihre Kämpfe singt. Der Kontrast zwischen ihren verletzlichen Texten und der treibenden, feierlichen Instrumentierung schafft eine faszinierende Spannung, die erstaunlich gut funktioniert. Musikalisch erfindet sich Self Esteem neu mit Hyperpop-Elementen in “Lies” (mit Nadine Shah) und dem von den frühen 2010er Jahren inspirierten “Mother”. Gastbeiträge von Sue Tompkins, Julie Hesmondhalgh und Moonchild Sanelly verleihen diesem kaleidoskopischen Album zusätzliche Tiefe. Das Album schließt mit dem Jubelsong “The Deep Blue Okay”, in dem Taylors hoffnungsvolles Fazit “You’ll always work it out” widerhallt. Mit “A Complicated Woman” beweist sie, dass das Umarmen von Widersprüchen und Komplexität nicht nur menschlich, sondern auch spektakulär schön sein kann. (8/10) (Elodie Renard) (Universal Music Operations)

Yonglee and the DOLTANG – Invisible Worker

Man sollte immer vorsichtig sein, wenn ein Künstler von sich behauptet, er habe Grenzen verschoben und mit Improvisation und “elektronischen Experimenten” dem Genre einen einzigartigen Klang hinzugefügt. Zunächst einmal: Gibt es nach Davis, Corea und Hancock noch Grenzen, die im Jazz und Fusion nicht verschoben wurden? Ganze Heerscharen ambitionierter junger Musiker versuchen es dennoch, doch meistens ist das Ziehen eines kompletten Gebisses weniger schmerzhaft als das Hören solcher Experimente. Mit gewisser Vorsicht legen wir also diese Platte auf; der koreanische Pianist Yonglee hat sich mit der ebenfalls koreanischen Fusiongruppe the DOLTANG zusammengetan. Auf ihrem Debüt “Invisible Worker” mischen sie Jazz mit Progrock, Pop, Electronica und sogar moderner klassischer Musik. Mut kann man dieser Gruppe aus Seoul jedenfalls nicht absprechen. Mit ungeraden Taktarten, gelegentlich aufheulenden Gitarren und komplexen Melodien neigt “Invisible Worker” stärker zur Prog als zum Jazz. Nach einer Minute einleitender Synthesizerklänge ist “Pay Day” das erste vollständige Stück, mit wirklich unnachahmbaren Rhythmen als Basis für die Improvisationen auf Klavier, Keyboards und Gitarre. “Fluorescent Light” beginnt sogar im Viervierteltakt, doch inzwischen weiß der Zuhörer, dass fast ständig ein unerwarteter Hook eingebaut ist. Die Überraschung hier: der wunderschöne Gesang von Blue-Note-Koryphäe Song Yi Jeon. In “March of the Invisibles” hören wir sie noch einmal. Ungewollt vielleicht, doch obwohl die Improvisationen im Vordergrund stehen, ist es letztlich die Rhythmusgruppe, die als “invisible worker” das größte Lob verdient. Was die Drums betrifft, könnte selbst ein Danny Carey bei diesem Material ins Schwitzen kommen. Das pièce de résistance ist das faszinierend betitelte “Do Plastic Bags Dream About Sunset”, mit schönem Aufbau und einer herausragenden Basslinie. Zudem klingt dieses Stück einfach angenehm. Diese Platte zeigt zwei Gesichter: eine Band, die sich in technischen Finessen verliert, und dieselbe Band, die einfach gut klingenden Jazz spielt. Yonglee and the DOLTANG werden ihren hohen Ansprüchen durchaus gerecht. Die Grenze ist verschoben worden. Ein wenig. (Jeroen Mulder) (8/10) (Unit Records)

Jazzanova – In Between Revisited: Jazzanova Live

Jazzanova feiert das zwanzigjährige Jubiläum ihres bahnbrechenden Debütalbums “In Between” auf besondere Weise. Mit “In Between Revisited: Jazzanova Live” präsentiert die Gruppe eine frische, live eingespielte Neuinterpretation ihres klassischen Materials, aufgenommen in den renommierten Little Big Beat Studios in Liechtenstein. Was einst als Studioprojekt gedacht war, das nie live aufgeführt werden sollte, erhält nun dank der Jazzanova Live Band, die seit fünfzehn Jahren weltweit tourt, ein zweites Leben. Der Opener “L.O.V.E. and You & I” startet wunderbar mit einer deutlichen Reminiszenz an den Disco-Sound der 70er Jahre, und “No Use” setzt dies gemeinsam mit Sängerin Clara Hill fort. Jazzanova bewegt sich klar außerhalb der Acid-Jazz-Schublade, bewahrt dabei aber ihren charakteristischen Sound. Mit “The One-Tet” bewegt sich das Kollektiv in Richtung Old-School-Hip-Hop á la Sugarhill Records, jedoch ohne wirklich Rap zu werden; denken Sie an eine Offbeat-Version von Guru. Die Band schafft es, die auf Samples basierende Essenz von “In Between” nahtlos mit der Energie von Live-Instrumenten zu kombinieren. Höhepunkte sind der Clubklassiker “That Night” mit Gesangsbeiträgen von Wayne Snow und das zurückhaltendere, aber wunderschöne “Place In Between / Cyclic” mit seinen Trompetenparts. Die tanzbaren “Days to Come” und die organische Version von “Dance the Dance” zeigen, dass diese Songs auch live hervorragend funktionieren. Mit dieser Aufnahme beweist Jazzanova nicht nur, dass ihre Musik zeitlos ist, sondern auch, dass sie sich mit jeder neuen Interpretation weiterentwickelt. Ein Muss für Fans von Jazz, Soul und elektronischer Fusion. Nach dem Hören bleibt nur eine Reaktion: Ganz schnell schauen, wo Jazzanova demnächst live spielt! (Norman van den Wildenberg) (8/10) (Sonar Kollektiv)

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