Counting Crows – Butter Miracle, The Complete Sweets!
|Die Texte der niederländischen Band Bløf führen oft zu amüsanten Diskussionen und sogar Parodien, aber Fans und Kritiker sind sich in einem Punkt einig: Die Band aus den Niederlanden versteckt ihre poetischen Ambitionen nicht. Dass Bløf in der amerikanischen Band Counting Crows gleichgesinnte Seelen fand, war fast eine organische Gegebenheit: Es musste so sein, wie zwei Brüder, die wiedervereinigt wurden. Einer der Brüder wurde adoptiert und sprach eine andere Sprache, aber sie verstanden einander fehlerlos. Gemeinsam nahmen sie “Holidays in Spain” auf, ursprünglich vom Album “Hard Candy”.
Die Band aus den Niederlanden fügte einige niederländische Passagen hinzu, die genauso offen für multiple Interpretationen waren wie der Originaltext. ‘Es gibt Flugzeugsitze, Millionen von Hintergedanken.’ Viele entschieden: Es klingt schön, aber es ist Kauderwelsch. Übrigens ist nichts falsch an Kauderwelsch. In der Poesie wurde sogar ein Genre darum geschaffen: atonale Poesie, bei der Abstraktion in der Sprache das Ziel an sich ist. Lucebert war der absolute Großmeister der atonalen Dichtung.
Unerschrocken bei Gehirnabfluss der Schönredner
Springt von Nest zu Vogel und bleibt erfreut
Im Spaghetti der Glossolalie löffeln
So sagte Lucebert.
Counting Crows-Frontmann Adam Duritz lässt sich natürlich nicht mit einem der größten Dichter der Fünfziger-Bewegung vergleichen, aber die Texte der Rocker aus der San Francisco Bay Area führen oft zu einigen Diskussionen. So gibt es seit Wochen eine Debatte über “Spaceman in Tulsa”, die erste Single des neuen Albums “Butter Miracle, The Complete Sweets!” Geht es in diesem Text um Missbrauch? Oder Prostitution? Laut Duritz geht es um Transformation, darüber, wie Musik jemanden zerstören, aber auch neue Hoffnung geben kann.
Doesn’t anybody wanna be a rock and roll queen?
Leave ’em laughing when you wanna die
Crazy little dreamer says, “Man, I can’t believe I’m still alive”
Aber was hat es mit Tulsa auf sich? Es ist eine mittelgroße Stadt in Oklahoma, hauptsächlich bekannt für ihr reiches Ölvorkommen. Der Ort wird regelmäßig in Liedtexten erwähnt, wie in “Tulsa Time”, das durch Versionen von Countrylegende Don Williams und später Eric Clapton bekannt wurde. In diesem Lied ist der Protagonist auf dem Weg zur Erfüllung eines großen Traums, aber die Schlussfolgerung wird schnell gezogen, dass niemand auf ihn oder diesen Traum wartet. Es ist ein wiederkehrendes Thema im Œuvre der Counting Crows: die Einsamkeit der desillusionierter Person, die neu anfangen muss, den Traum aufgeben und nach Hause zurückkehren muss, letztendlich zu einer besseren Version ihrer selbst. Ja, das war auch das Thema in “Holidays in Spain.”
Es geht tief. Wir mussten zehn Jahre darauf warten, da das letzte Studioalbum der Band – “Somewhere Under Wonderland” – aus dem Jahr 2014 stammt. Dieses “Butter Miracle, The Complete Sweets!” ist der Nachfolger der EP “Butter Miracle, Suite One”, die 2021 veröffentlicht wurde und vier Tracks enthielt: “The Tall Grass”, “Angel of 14th Street”, “Elevator Boots” und “Bobby and the Rat-Kings”. Zusammen bildeten diese Songs “Suite One”, die jetzt um fünf neue Songs ergänzt wird, oder besser gesagt, der Suite gehen jetzt fünf neue Songs voraus. “With Love from A-Z” ist die Eröffnung, und sofort werden wir in die Melancholie hineingezogen, auf die diese Gruppe ein Patent hat, nicht zuletzt wegen Duritz’ Stimmklang, der immer so klingt, als könnte er jeden Moment in Tränen ausbrechen. ‘I was trying to swim in an ocean of rain. I was hoping to see California again’, beginnt Duritz das Album. Wunderschöne Texte. Das ist nicht das Problem. Niemand kann so schön über Leere, Einsamkeit und Heimweh singen.
Doch dieses “Butter Miracle” scheint nach zehn Jahren Abwesenheit nicht allen Erwartungen gerecht zu werden. Mehr noch: Es wird sicherlich nicht an den Erfolg von “August and Everything After”, “Recovering The Satellites” oder “Hard Candy” anknüpfen können. Es liegt nicht an den philosophischen Texten. Nein, musikalisch bietet das Album einfach zu wenig. “With Love from A-Z” ist ein Standard-Blues, nicht mehr, nicht weniger. “Spaceman in Tulsa” ist ein guter, fast beschwingt klingender Rocksong mit eingängigem Refrain. Dasselbe gilt für “Boxcars”, aufgebaut auf einem schönen Riff. Die neue Single “Under the Aurora” klingt gut, teilweise durch die Hinzufügung von Streichern, aber sie erhebt sich nicht über das Niveau eines (besseren) Popsongs, was wirklich unter dem Standard dieser Band liegt. Das Ganze macht einfach nicht genug Eindruck.
Von den fünf neuen Songs gibt es nur einen, der im Schatten von Klassikern wie “A Long December” oder “Goodnight Elisabeth” stehen kann, und das ist “Virginia Through the Rain”. Wir folgen der Person, die im Lied lebt, ziehen unsere Schuhe an, gehen in den Regen, weg vom Hotel, während Duritz diese eine Zeile singt, die wir noch monatelang, jahrelang schätzen können, so schön: ‘The sun undresses the horizon.’ Endlich wieder ein Song, in dem in Wehmut verpackte Erinnerungen unter dieser dicken Decke erstickenden Heimwehs und Verzweiflung uns buchstäblich an die Kehle fliegen. Das sind die Counting Crows, die wir hören wollen, einschließlich poetischem Kauderwelsch. Allerdings bleibt es bei nur einem Song.
Alles in allem liefern Counting Crows ein Album ab, das hier und da etwas uninspiriert klingt. Und das ist nach einem Jahrzehnt des Wartens nichts weniger als eine Enttäuschung. “Virginia Through the Rain” macht viel gut, aber nicht alles. (6/10) (BMG)