Maul Tide – Visual Plea
|In der Musikwelt ist die kanadische Band Maul Tide eine der wenigen Bands, die in einer Musiklandschaft, in der Algorithmen zunehmend das Genre diktieren, noch ihrem eigenen Weg folgt. Auf ihrem neuesten Album “Visual Plea” nehmen Jake Cummings und Adam McDonald, das Duo hinter Maul Tide, ihre Hörer mit auf eine musikalische Achterbahnfahrt durch verschiedene Genres, wobei das Album oft eher als eine Stellungnahme gegen musikalische Einheitlichkeit denn als bloßes Album wirkt.
Von den ersten Tönen von “Proximity Yurz” an weißt du mit Sicherheit: Dies wird kein gewöhnliches Hörerlebnis sein. Der Track beginnt mit einer stereophonen Erfahrung und einem erhebenden Gitarrenteil, zieht dich dann in ein musikalisches Puzzle, wo Adam McDonalds Schlagzeug sowohl Struktur als auch Chaos bietet. Jake Cummings’ Gitarre schwankt von liebevollen Flüstern bis zu beispielloser Aggression und gibt den Ton für das Kommende an. Wie “Mmmmmantis”, vielleicht ein etwas zugänglicherer Ausgangspunkt für den Hörer. Ein funky Rückgrat zeigt, wie musikalisch brillant die Band viele Pop-Hooks zugunsten reiner Experimentierfreudigkeit hinter sich lässt, auf die Primus und Zappa neidisch sein könnten. In “Leaking” scheint Maul Tide die Experimente etwas loszulassen. Ein unwirkliches Timing, das keine Melodie opfert, bringt den Hörer mehr in Richtung des Progs von Alan Parsons, obwohl das Duo es wagt, nach einem kurzen Moment der Wiedererkennung direkt zum skandinavischen Rock zu wechseln.
Mit “Subnet Fisheries” erreicht Maul Tide einen Höhepunkt von Post-Rock-Atmosphäre und Math-Rock-Präzision. Diese Spannung zwischen Schönheit und technischer Überlegenheit kennzeichnet weitgehend die Anziehungskraft der Band, oft sehr deutlich im wunderschön konstruierten “Cure Cut”, das zwischen äußerster Ruhe und härtester Katharsis hin und her tanzt. Ein Moment der Ruhe in der Mitte des Albums. Die mittleren Passagen des Albums vergehen angenehm mit “Tyranny Sorry Rex”, einem Track mit hypnotisierenden, sich wiederholenden Gitarrenlinien, die irgendwo versteckt sind, wo man sie in einem Korsett aus straffen Rockstrukturen nicht sofort erwarten würde. In einem solchen Moment versteht man, warum der Begriff “Subterranean Lizard Jazz”, den die Band auf ihrem Ärmel trägt, plötzlich scharf und fast offensichtlich passt.
“Peepin’ On That 2037 Bowlcut Attitude” (ja, das ist wirklich der Titel) ist vielleicht der umstrittenste Track des Albums – eine fast siebenminütige chaotische Erkundung von sich wiederholenden Gitarrenloops. Und doch gibt es kein Entkommen – langsam aber sicher kulminiert alles im Erhabenen. Wer weiterhört, gewinnt, während andere zweifellos denken werden: Höre ich immer noch denselben Track? Ja, in der Tat. Aber auch “Pyramid Addicts” verwirrt dich; vielleicht der fokussierteste und explosivste Track des Albums. Auf und ab, von links nach rechts. Herausfordernd. Das Album endet schließlich mit “Bascada”, das sich als der strukturierteste Track des Ganzen erweist. Unvorhersehbar eigensinnig, technisch und straff: Maul Tide schenkt festen Rahmen keine Beachtung.
Letztendlich lässt sich nur ein kleiner Nachteil finden: Das Album ist für den durchschnittlichen Hörer nicht leicht zu verstehen. An bestimmten Stellen könnte man sagen, dass sie zu wild werden wollen, aufgrund ihrer Bereitschaft, ihre musikalischen Experimente ohne Einschränkungen auszuführen.
“Visual Plea” ist denjenigen vorbehalten, die damit umgehen können, nicht sofort befriedigt zu werden. In Zeiten, in denen jeder weiß, welche Eigenschaften eine Playlist haben sollte und Musik oft für uns vorgekaut wird, kommt Maul Tide mit etwas, das das Recht beansprucht, in all seiner Eigensinnigkeit erlebt zu werden. Wer es versteht, bekommt eine der erhebendsten und aufrichtigsten Veröffentlichungen des frühen Jahres 2025 zu hören. Wer es nicht versteht, hat das Recht, nach etwas anderem zu suchen, verpasst dann aber etwas Schönes. (8/10) (Independent)