Hollies: Pioniere der Popdiplomatie

Hollies als Wegbereiter für den Aufstieg der westlichen Popmusik hinter dem Eisernen Vorhang: Ein kaum dokumentiertes Ereignis, das daher in Vergessenheit geraten ist. Doch die Auftritte der Band markierten einen Wendepunkt in der Entwicklung der Popmusik im kommunistischen Polen. Eine kleine Rekonstruktion mit einigen persönlichen Anmerkungen eines Fans.

Foto (c) Jeroen Mulder

Es wurde als kleine Randnotiz auf einer Website erwähnt, die allerlei Trivia zur Popmusik von den frühesten Anfängen bis zur Gegenwart sammelt. Oft beginne ich den Tag mit einem Blick auf diese Website, um zu sehen, welche denkwürdigen Ereignisse die Musik an einem bestimmten Datum hervorgebracht hat. Wer hat an diesem Tag eine Platte veröffentlicht? Welche Lieder standen weltweit in den Charts? Wer trat wo auf? So kam es, dass ich am 8. März las, dass Hollies an diesem Tag im Jahr 1966 nach Polen reisten, wo sie als eine der ersten westlichen Bands hinter dem Eisernen Vorhang auftreten durften.

Das ist seltsam. Nicht, dass sie in Polen Konzerte gaben, sondern dass ich es nicht wusste. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas darüber gelesen zu haben, obwohl ich mich – bescheiden gesagt – zu den treuen Hollies-Fans zählen kann und eine ansehnliche Vinylsammlung besitze. Und das alles, weil mein Vater mir einst einen Stapel Singles schenkte, darunter “He Ain’t Heavy, He’s My Brother”, das ich dann auf einem alten Philips-Plattenspieler buchstäblich zu Tode gespielt habe. Später gab es andere Bands, die um meine Aufmerksamkeit konkurrierten, aber Hollies blieben stets ein fester Bestandteil meiner Sammlung.

Ein stark unterschätzter Bestandteil, wie ich finde. Hollies, gegründet 1962, gehören dennoch zur Speerspitze der britischen Beatmusik und werden für ihren harmonischen Gesang gefeiert. 1966 hatten sie sich zu einer Band entwickelt, die in puncto Popularität The Beatles oder The Rolling Stones in nichts nachstand.

UK und USA

Hollies als Pioniere, vor fast sechzig Jahren. Darüber musste ich mehr erfahren, auch wenn es mich wunderte, dass ich nie zuvor davon gehört hatte. Meines Wissens gab die Band damals vor allem Konzerte in England, obwohl 1966 auch das Jahr war, in dem sie erneut in den USA Fuß fassen wollten. Auf setlist.fm finde ich sämtliche Konzertdaten der Hollies in ihrer Originalbesetzung mit Clarke, Nash, Hicks, Haydock und Elliott aus diesem Jahr. In dieser Besetzung nahmen sie sehr erfolgreiche Alben auf, darunter “Would You Believe?”, “Bus Stop” und “Look Through Any Window”, die alle 1966 erschienen. Diese Alben brachten zahlreiche Hits hervor und bestimmten große Teile der Setlist, so die Informationen auf Setlist. Regelmäßig gespielt wurden “Bus Stop”, “Look Through Any Window”, “Stop! Stop! Stop!” und das Dylan-Cover “The Times They Are A-Changin’”, letzteres als Vorgeschmack auf ein Album, das später ausschließlich Dylan-Covers enthielt und passenderweise “Hollies Sing Dylan” hieß – ein Grund für Graham Nash, die Gruppe zu verlassen.

Mit diesem Material gab die Gruppe 101 Konzerte in England, neun in den USA und vier in Dänemark. Außerdem traten sie in Schweden, Norwegen, Deutschland und Irland auf.

Polen? Fehlanzeige. Nirgendwo wird es erwähnt. Dafür finde ich zahlreiche Anekdoten zur US-Tournee. So verpassten die Briten nahezu jede große TV-Show in den USA. Wer in den Sechzigern in Amerika Popmusik machte, musste in der Ed Sullivan Show auftreten, um dort Fuß zu fassen. Doch die US-Einwanderungsbehörde machte ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung und verweigerte ihnen eine Arbeitserlaubnis. Ein Problem, das untrennbar mit den amerikanischen Abenteuern der Hollies verbunden blieb.

Am 14. April wurde die Gruppe zwei Tage lang am Flughafen Heathrow festgehalten, bevor die US-Behörden ihnen die Einreise erlaubten. Höhepunkt dieser Reise war ein Auftritt in der Soupy Sales Show – doch das war nicht dasselbe wie Ed Sullivan, wo die Stones, Beatles, Dave Clark Five und Animals alle auftraten. (Anmerkung: Umgekehrt geschah dasselbe – The Byrds durften ihrerseits nicht nach England einreisen.)

Eine Band, die Probleme hatte, die richtigen Papiere für eine USA-Tournee zu bekommen, sollte also im März desselben Jahres nach Polen reisen – ein Land hinter dem Eisernen Vorhang, das von der Sowjetunion kontrolliert wurde und westliche Einflüsse so lange wie möglich fernhalten wollte.

Kapitalistischer Einfluss

Das Polen von 1966 ist nicht mit dem heutigen Polen vergleichbar. Heute eine Demokratie, war es damals eine gespaltene Nation: Einerseits tief verwurzelt im Katholizismus, andererseits beherrscht von der Propaganda der Vereinigten Arbeiterpartei, die die Volksrepublik Polen als Einparteienstaat nach kommunistischem System regierte. 1966 war auch das Jahr der Millenniumfeiern, die die Christianisierung Polens und die Gründung des ersten polnischen Staates zelebrierten. Diese Feiern bestanden hauptsächlich aus Machtdemonstrationen, ein üblicher Anblick in den Staaten des Warschauer Pakts. Die Jugend wuchs automatisch in dieses System hinein: An der Abschlusszeremonie im Oktober nahmen 25.000 Jugendliche teil – ein gutes halbes Jahr nach dem Besuch zweier westlicher Acts.

In kommunistischen Polen war westliche Musik streng reglementiert. Rock ’n’ Roll und Beatmusik galten als westlicher, kapitalistischer Einfluss. Konzerte westlicher Bands waren äußerst selten – und blieben es, bis David Hasselhoff auf der Berliner Mauer seine Ode an die Freiheit sang. 1966 hielt niemand so etwas für möglich. Es muss also eine Sensation gewesen sein.

Einfluss auf die eigene Kultur

In gewisser Weise kann diese Tour als der Beginn einer sich entspannenden Beziehung zwischen Ost und West betrachtet werden, einer Beziehung, die durch den Kalten Krieg unter Hochspannung stand und bis in die späten Achtziger bestehen blieb. Die Tournee zeigte, dass kulturelle Austausche möglich waren – nicht zuletzt, weil Hollies keine politische Botschaft verbreiteten. Oder etwa doch? Jedenfalls verstanden die Jugendlichen eine versteckte Botschaft, die die Autoritäten überhörten.

Die Konzerte von Lulu und Hollies markierten nichts weniger als einen Wendepunkt für die polnische Popmusik. Hollies inspirierten polnische Bands wie Czerwone Gitary und Niebiesko-Czarni, die als direkte Gegenstücke zur britischen Beatmusik galten.

Doch die Tournee war mehr als nur eine Inspirationsquelle für eine neue Generation. Sie war vor allem ein früher Hinweis darauf, wie der Kalte Krieg – zumindest kulturell – langsam zu Ende ging. Musik spielte eine entscheidende Rolle bei der Öffnung der Grenzen. Die Mauern der Zensur und politischen Kontrolle wurden langsam niedergerissen – durch Popmusik.

Change consent