Übersicht über die Albumrezensionen: Marion Wolf, Ed Sheeran und mehr
|Jede Woche treffen Dutzende neuer Alben in der Redaktion von Maxazine ein. Viel zu viele, um sie alle anzuhören, geschweige denn zu rezensieren. Eine Rezension jeden Tag bedeutet, dass zu viele Alben zurückbleiben. Und das ist eine Schande. Deshalb veröffentlichen wir heute eine Übersicht der Alben, die in Kurzrezensionen in der Redaktion eintreffen.
Big Thief – Double Infinity
Mit ihrem sechsten Studioalbum machen Adrianne Lenker und ihr inzwischen zum Trio geschrumpfter Big Thief einen unerwarteten, aber kompetenten Sprung in gelishtere Gewässer. Nach dem Weggang von Bassist Max Oleartchik wählten die verbliebenen Mitglieder einen radikal anderen Ansatz: drei Wochen intensives Jammen in den Power Station Studios in New York, umgeben von einer Gemeinschaft von Gastmusikern, darunter der legendäre Ambient-Künstler Laraaji. Das Ergebnis ist ein Album, das gleichzeitig ihr zugänglichstes und experimentellstes Werk darstellt. Der Opener „Incomprehensible” lässt sofort hören, was sich verändert hat – wo früher rohe Intimität Trumpf war, wählen Big Thief nun glänzende, atmosphärische Soundscapes, die Lenkers Stimme in einen fast himmlischen Glanz tauchen. Es ist eine bewusste Wahl, die nicht jeden überzeugen wird, aber die das emotionale Gewicht ihrer Lieder auf neue Weise betont. „No Fear” zeigt die Stärke dieses Ansatzes am besten: sieben Minuten meditativer Wiederholung, in der Joshua Crumblys Basslinie einen hypnotischen Groove schafft, während Lenker mantra-artig über das Loslassen von Angst singt. Das Stück verlangt Geduld vom Hörer, belohnt diese aber mit einer transzendenten Erfahrung, die in der zeitgenössischen Musik selten ist. Der emotionale Kern des Albums liegt in „Grandmother”, wo Laraajas ätherische Beiträge das Stück in eine andere Dimension heben. Lenkers Versprechen, „alles in Rock ‘n’ Roll zu verwandeln”, klingt hier wie ein Befreiungsschrei, eine Art, mit Verlust umzugehen, indem man ihn in Musik transformiert. Obwohl die Produktion manchmal die spontane Energie ihrer früheren Arbeiten überschattet, bleibt Lenkers Songwriting von beispielloser Verletzlichkeit und Schönheit. „Happy With You” ist pure Freude in Musikform, während „How Could I Have Known” das Album mit einem Gefühl der Hoffnung trotz aller Veränderungen abschließt. (Anton Dupont) (8/10) (4AD)
Sopico – Volez-Moi
Vier Jahre nach „Nuages” kehrt der Pariser Rapper-Sänger-Gitarrist Sopico mit einem Album zurück, das seine einzigartige Position in der französischen Musiklandschaft bestätigt. „Volez-Moi” ist eine 16 Tracks umfassende Erkundung seiner künstlerischen Grenzen, in der er seine charakteristische Mischung aus Rap, Blues und Rock mit elektronischen Elementen weiterentwickelt. Album-Opener „Une clope après l’amour” setzt sofort den Ton mit Pianist Sofiane Pamart, dessen sensible Begleitung perfekt mit Sopicos gemessenem Flow kontrastiert. Es ist repräsentativ für ein Album, das sich nicht in Genre-Konventionen fangen lässt, sondern einen eigenen Pfad zwischen Intimität und Größe beschreitet. Die Produktion, größtenteils in den Händen seiner ständigen Mitarbeiter, zeigt einen reiferen Künstler, der komfortabel zwischen verschiedenen Stilen navigiert. „Slide” kombiniert Trap-Elemente mit Blues-Gitarrenarbeit, während „Grand cercle” eine experimentellere Richtung mit ambient-artigen Klangschichten einschlägt. Textlich bleibt Sopico seinem introspektiven Stil treu, aber „Volez-Moi” fühlt sich weniger schwermütig an als seine vorherigen Arbeiten. Es gibt Raum für Optimismus und sogar Verspieltheit, wie in „J’vais le faire”, wo sein Selbstvertrauen als Künstler durchscheint. Das Featuring mit Hash24 auf „Michelangelo” bringt eine frische Energie, die dem Album guttut. Was das Album besonders auszeichnet, ist Sopicos Fähigkeit, sein Gitarrenspiel organisch mit modernen Produktionstechniken zu verweben. Stücke wie „Ça fait mal” zeigen, wie er Live-Instrumentierung verwendet, um elektronischen Beats eine menschliche Wärme zu geben, die viel zeitgenössischem Rap fehlt. Die Sequenzierung zeigt hier und da einige Unregelmäßigkeiten, mehrere Tracks im mittleren Abschnitt fühlen sich weniger wesentlich an, aber die starke Eröffnung und der kraftvolle Abschluss machen vieles wieder gut. (Elodie Renard) (7/10) (Spookland Records/Polydor France)
Parcels – LOVED
Mit ihrem dritten Album beweisen die australischen Disco-Funk-Fetischisten von Parcels, dass die Magie ihres Sounds nicht von einer spezifischen Besetzung abhängt. Nach dem Weggang von Bassist Max Oleartchik haben Jules Crommelin, Louie Swain, Patrick Hetherington, Noah Hill und Anatole ‘Toto’ Serret ihre Kräfte für ein Album gebündelt, das ihr bisher kohäsivestes und ansteckendestes Werk darstellt. Aufgenommen in Studios verteilt über Berlin, Byron Bay, Sydney, Oaxaca und Mexico City, atmet „LOVED” eine kosmopolitische Fröhlichkeit aus, die perfekt zu ihrer retro-futuristischen Ästhetik passt. „Safeandsound” eröffnet das Album mit einer unwiderstehlichen Melodie, die an die besten Momente von Phoenix erinnert, während die Produktion gerade genug modernen Glanz hat, um nicht wie eine Nostalgie-Übung zu klingen. Das Herz des Albums liegt in Stücken wie „Yougotmefeeling”, in dem die Band ihre Fähigkeit zeigt, komplexe Harmonie-Strukturen hinter scheinbar einfachen Pop-Hooks zu verstecken. Die Art, wie Keyboards, Gitarren und Drums miteinander interagieren, zeugt von einer Band, die sich durch und durch kennt, trotz der Veränderungen in ihrer Besetzung. „Summerinlove” zeigt ihre melancholischere Seite, eine Geschichte über romantische Nostalgie, verpackt in verträumte Produktion, die an Airs beste Momente erinnert. Der Kontrast mit dem aufgedrehten Funk von „Leaveyourlove” beweist ihre Vielseitigkeit als Songwriter. Produzent Dom Monks hat ausgezeichnete Arbeit geleistet, indem er die Vintage-Instinkte der Band mit einem klaren, modernen Sound ausbalanciert. Jedes Instrument bekommt Raum zum Atmen, ohne dass die dichten Arrangements zum Overkill werden. Der einzige wirkliche Nachteil ist, dass mehrere Stücke im mittleren Abschnitt etwas vorhersagbar wirken – die Parcels-Formel ist inzwischen so poliert, dass Spontaneität manchmal der Handwerkskunst weichen muss. (Jan Vranken) (7/10) (Because Music)
Ed Sheeran – Play
Nach den introspektiven Folk-Übungen von „Subtract” und „Autumn Variations” kehrt Ed Sheeran zu seiner Komfortzone zurück mit „Play”, einem Album, das sein Versprechen von „Big Pop” vollständig einlöst. Das Ergebnis ist sein direktestes und freudigstes Album seit „Divide”, wenn auch nicht ohne die üblichen Fallstricke seiner Mainstream-Ambitionen. „Azizam” setzt sofort den internationalen Kurs aus mit seiner persisch-inspirierten Produktion von Ilya Salmanzadeh. Das Stück zeigt Sheeran von seiner besten Seite: Weltmusik-Elemente nehmen und sie in universell ansprechende Pop-Kraft transformieren. Die Art, wie er irische Traditionen mit persischen Melodien verbindet, beweist seine unterschätzte Fähigkeit als musikalischer Brückenbauer. „Old Phone” bietet die emotionale Tiefe, die nötig ist, um dem Album Gewicht zu geben. Entstanden aus einer Konfrontation mit seiner Vergangenheit während eines Gerichtsprozesses, verwandelt Sheeran persönliche Melancholie in eine Hymne über das Loslassen. Die Produktion, straff aber warm, unterstützt perfekt seine erzählerischen Qualitäten. Leider fällt das Album nach einem starken Start in vertraute Muster zurück. „Symmetry” und „Camera” fühlen sich wie Übungen im Sheeran-Playbook an, ohne echte Überraschungen zu bieten. Die Loop-Pedal-Showcases, die seine Live-Shows so denkwürdig machen, kommen auf Album weniger gut zur Geltung. „Heaven” schließt das Album mit typischer Sheeran-Größe ab; orchestral, emotional und für Stadion-Mitsingmomente konzipiert. Es ist Handwerkskunst höchster Ordnung, aber es fehlt die Authentizität, die seine beste Arbeit kennzeichnet. Was „Play” vor der Mittelmäßigkeit rettet, ist Sheerans unwiderstehliche Fähigkeit, Melodien zu schreiben, die sich sofort im Gedächtnis einnisten. (Norman van den Wildenberg) (6/10) (Gingerbread Man Records/Atlantic)
Marion Wolf – Am Ondan End
Die Violine ist kein gewöhnliches Instrument im Jazz, obwohl sie eine Geschichte in dem Genre hat. Stéphane Grappelli war zum Beispiel ein Pionier im Swing, der zwischen 1920 und 1940 durch unter anderem Django Reinhardt groß gemacht wurde; Grappelli spielte im begleitenden Quintet du Hot Club de France bei Reinhardt. Später tauchten auch im Bebop und Fusion mit einiger Regelmäßigkeit Violinisten auf, darunter Regina Carter und Didier Lockwood. Zu dieser Reihe können wir nun die Österreicherin Marion Wolf hinzufügen, die mit „Am Ondan End” ihr Debüt mit acht eigenen Kompositionen abliefert. Darauf spielt sie nicht nur Violine, sondern singt auch. Es ist gewöhnungsbedürftig, so eine Violine als Soloinstrument im modernen Jazz, zumal die Begleitung nur aus Pianist Fabian Mang, Schlagzeuger Christoph Suttner und Bassist Luka Dobnikar besteht. Dennoch sind wir angenehm überrascht: dank ausgeklügelter Arrangements bekommen die eleganten Kompositionen durch Wolfs lyrisches Violinspiel Tiefe und klingt alles außerordentlich reich. Man hört, dass Wolf klassisch geschult ist, obwohl sie nach ihrem letzten Examen völlig mit dem Spielen klassischer Stücke aufhörte. Nicht nur ihr Violinspiel ist lyrisch, das gilt auch für ihre Texte, die unter anderem von Rainer Maria Rilke inspiriert sind. Ein gutes Beispiel ist „Da Rilke Bua (For the Poet)”: in fast sinnlichem Gesang besingt sie eine Landschaft, wie Rilke das in seinem frühen Dichtwerk tat… zumindest denken wir das zu verstehen, denn Wolf singt im Dialekt der österreichischen Provinz Kärnten. Es ist eines der langsameren Stücke auf dem ansonsten sehr abwechslungsreichen Album, das zum Beispiel up-tempo mit „Wolfsberg (Returning)” eröffnet, dem Ort, wo Wolf geboren wurde. Auf „Am Ondan End” hört man eine Vielzahl von Einflüssen in Wolfs Musik zurück, einschließlich Weltmusik, wie im abschließenden Titelstück, wonach wir getrost feststellen können, dass diese Österreicherin einen neuen, eigenen Standard für die Jazz-Violine gesetzt hat. (Jeroen Mulder) (7/10) (Sonus)