Übersicht über die Albumrezensionen: Shawn Pittman, Emily Saunders und mehr
|Jede Woche treffen Dutzende neuer Alben in der Redaktion von Maxazine ein. Viel zu viele, um sie alle anzuhören, geschweige denn zu rezensieren. Eine Rezension jeden Tag bedeutet, dass zu viele Alben zurückbleiben. Und das ist eine Schande. Deshalb veröffentlichen wir heute eine Übersicht der Alben, die in Kurzrezensionen in der Redaktion eintreffen.
Jess Yaffa – Thoughts That Keep Me Up At Night
Seit 2018 macht Jess Yaffa bereits mit Singles und EPs auf sich aufmerksam. Nun erscheint endlich das Debütalbum der in New York lebenden Sängerin. Ein Album, das pure Energie und Verletzlichkeit umarmt, verpackt in einer tiefen Produktion. Auf “Thoughts That Keep Me Up At Night” verwandelt die 23-jährige Singer-Songwriterin persönliche Erfahrungen in mitreißende Pop-Rock-Hymnen. Mit der Unterstützung des Grammy-Gewinners Scott Jacoby erschafft Yaffa einen Klang, der sowohl rebellisch als auch tief introspektiv ist. Das Album offenbart Yaffas Authentizität durch ihren praktischen Ansatz: Sie schreibt nicht nur ihre eigene Musik, sondern bewacht auch vollständig ihre künstlerische Vision. Der Eröffnungstrack “Too Soon” kommt stark herein mit unmittelbarer musikalischer Überzeugung, teilweise durch die Drums. Von “Suburban Dystopia”, das hier und da an Joss Stone erinnert, bis hin zu “Will I See You Again” erkundet Yaffa die Herausforderungen des Jungseins mit einer Aufrichtigkeit, die für eine Generation, die nach Selbstidentität sucht, wiedererkennbar ist. Tracks wie “In The Key of Chaos” und das kräftigere “Just for One Night” zeigen ihre dynamische stimmliche Bandbreite und Fähigkeit, komplexe Emotionen in eingängigen Melodien einzufangen. Ihre Musik balanciert perfekt zwischen Verletzlichkeit und Rebellion, was zu einem Debüt führt, das mehr ist als nur eine Sammlung von Liedern. Yaffa hat eine herrliche, manchmal rebellische, manchmal liebliche Stimme, die in der Pop-Rock-Szene keine Angst hat, tief zu graben und ehrlich zu sein. Ein Versprechen löst sich ein. (Norman van den Wildenberg) (7/10) (Pleasant Ridge Records)
Emma Rawicz und Gwilym Simcock – Big Visit
Inspiration ist ein ungreifbares Phänomen. Gesegnet ist der Künstler, der sie in Wellen durch seinen Kopf rollen spürt, aber häufiger müssen bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sein, um zu neuem Werk zu kommen. Dann muss der Kopf leer sein, losgerissen von der Hektik und dem Müssen des Alltags. Die Londoner Saxophonistin Emma Rawicz und Pianist Gwilym Simcock fanden Ruhe und Raum in West-Sussex, weit weg von der Big Band und den Orchestern, mit denen die beiden normalerweise arbeiten und für die sie weltweit hoch geschätzt werden. Aber es wurde Zeit für etwas anderes. Wie viele Schriftsteller, Dichter und Komponisten bereits erfahren durften, wirkte die Stille der Landschaft läuternd. Das Ergebnis ist dieses “Big Visit” mit sechs Kompositionen, die zwar klein angelegt sind für nur Saxophon und Klavier, aber großartig in der ungezwungenen Atmosphäre, die die Stücke hervorrufen; freie Jazzkompositionen, in denen die Noten übereinander und durcheinander wenden und purzeln wie Kinder, die noch ohne Last oder Sorge einander herausfordern und ein neues Spiel als großes Abenteuer angehen. Die Eröffnung “His Great Adventure” ist treffend gewählt und führt den Hörer weiter in eine Welt voller Erinnerungen, die Rawicz und Simcock in Musik gesetzt haben, gekennzeichnet durch fast frivoles Spiel. Die beiden Musiker spielen eigentlich nicht. Rawicz und Simcock tanzen, wobei die beiden Musiker sich perfekt spüren, bis in die kleinsten Details. Denn das fällt auf: die Aufmerksamkeit für selbst die kleinsten Noten: alles wird mit gleicher Sorgfalt dargebracht, nirgendwo führt die Frivolität zu Nachlässigkeiten. Die Kunst ist dann, das Ganze so natürlich, fast leicht wie möglich klingen zu lassen. Darin gelingt das Duo mit Bravour. Höhepunkte sind “The Drumbledrone” (wie die Hummel im Südwesten Englands, Devon, genannt wird) und “The Shape of a New Sun”, verweisend auf eine neue, hoffnungsvolle Zeit und implizit auf die Unbefangenheit, die nur Kinder noch zu erleben scheinen. Wir hören die Unbefangenheit. Wir hören die Freiheit. Lassen wir uns tanzen. (Jeroen Mulder) (8/10) (ACT Music)
Shawn Pittman – My Journey
Der 1974 in Oklahoma geborene Shawn Pittman ist ein Musiker, den man inzwischen als erfahren und abgehärtet bezeichnen kann. Seine musikalische Karriere führte ihn um die ganze Welt. Er hat mit Künstlern wie Double Trouble, Susan Tedeschi, Sam Myers, Anson Funderburgh, Mike Morgan und vielen anderen zusammengearbeitet. Pittman gilt als einer der wichtigsten Vertreter des modernen Texas-Blues. Sein erstes Soloalbum erschien 1998, und kürzlich ist sein fünfzehntes erschienen, betitelt “My Journey”. Auf dem Album befinden sich elf Titel, von denen neun von Pittman selbst geschrieben wurden. Er erhält Unterstützung von Erkan Özdemir (Bass) und dessen Sohn Levent Özdemir (Schlagzeug). The Texas Horns (Mark ‘Kaz’ Kazanoff und John Mills) sorgen für die bessere Bläserarbeit. Simon Oslender hören wir an der Hammond, und Roel Spanjers macht bei drei Titeln mit am Klavier und Akkordeon. Das Album beginnt flott mit “Until The Time Is Right”, gefolgt vom Boogie “Damage Is Done”. Es ist sehr abwechslungsreich und bietet wechselnd flotte, swingende Nummern, Boogie, Balladen und Slow-Blues. Von Anfang bis Ende bleibt es spannend. Jeder Titel ist prima aufgebaut und gut ausgeführt. Es stehen keine schwachen Nummern dazwischen. Dennoch nenne ich noch ein paar, die eine extra Erwähnung verdienen: außer dem bereits genannten Eröffnungstitel “Until The Time Is Right” auch das swingende “Blame It On Me”, das von Little Milton bekannte “That’s What Love Will Make You Do” und der Titelsong “My Journey”. Letztgenannter ist eine schöne musikalische Darstellung der Reise, die Pittman im Laufe der Jahre gemacht hat. Es ist ein ausgezeichnetes Album geworden – gut geschrieben, prima ausgeführt. Ein starkes Stück moderner Blues, und daher sicherlich eine Empfehlung. (Eric Campfens) (9/10) (Must Have Records / Continental Record Services)
Girlpuppy – Sweetness
Becca Harveys zweites Album als Girlpuppy verspricht viel, liefert aber wenig. “Sweetness” präsentiert sich als persönliche, textlich reiche Platte, ertrinkt aber in einer eintönigen Klangwand, die schon nach drei Nummern langweilig wird. Harveys Stimme, obwohl technisch kompetent, vermisst Charakter und bleibt in denselben emotionalen Registern hängen. Der Shoegaze-artige Produktionsstil scheint mehr ein billiger Trick zu sein, um mangelnde musikalische Ideen zu maskieren, als eine bewusste künstlerische Wahl. Die Anwesenheit von Mitgliedern der Beach Fossils und Horse Jumper of Love kann diese Platte nicht vor dem Ausverkauf-Produktionsstil retten, der jede potenzielle Nuance plattwalzt. Lieder wie “I Just Do!” und “Windows” versuchen, mit Referenzen zu Fleetwood Mac Eindruck zu machen, kommen aber nie über oberflächliche Nostalgie hinaus. Harveys Versuch eines persönlichen Verarbeitungsalbums ist letztendlich genauso generisch, wie der Titelsong suggeriert: süß, aber ohne Geschmack, eine Zuckerwatte aus Klang, die sofort verschwindet, sobald man hineinbeißt. Ein ärgerlicheres Album ist in diesem Jahr schwer zu finden. (Jan Vranken) (4/10) (Captured tracks)
Emily Saunders – Moon Shifts Oceans
Sängerin und Komponistin Emily Saunders hat eigentlich nur ein Ziel: Musik machen, die für Fröhlichkeit sorgt, so ließ sie in einem Interview mit dem englischen Jazz Journal festhalten. Das ist ein löbliches Bestreben, das aus einer schwierigen Jugend resultiert, in der Saunders als Teenager sogar eine Zeit lang das Elternhaus floh. Wie so oft führt eine problembehaftete Jugend zu kreativen Höchstleistungen, wovon dieses Album Zeugnis ablegt. “Moon Shifts Oceans” ist eine Jazzplatte, wobei Saunders den Jazz vor allem als musikalisches Haus nutzt, wo alles und jeder willkommen ist, solange es bereichert. Das macht sie geschickt mit Einflüssen aus Drum ‘n’ Bass, Funk (“Sideways”) und sogar Reggae (die Basslinie unter “Rugged Waves”). Dabei hat die Londonerin auch wirklich etwas zu sagen, wie in “Blue Skies Forever”, das zur Einheit aufruft, weil wir im Kern alle gleich sind. In “Mashup” klingt eine scharfe Verurteilung der Zweiteilung, die dadurch verursacht wird, dass eine Handvoll Reicher das Schicksal vieler, in der Regel Benachteiligter, bestimmt. Im zuvor erwähnten Interview gibt Saunders an, dass sie hierfür Zappa als Inspiration hatte. Das ist ein großer Name, den nur wenige auszusprechen wagen, und noch weniger Künstler trauen sich, sich selbst mit dem Mann zu vergleichen, der synonym für musikalische Innovation stand. Aber ehrlich gesagt: In diesem Fall ist es nicht ernsthaft fehl am Platz: die “Hooks” in der abweichenden Taktart hätten tatsächlich durchaus auf einer Zappa-Platte stehen können. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass Saunders, genau wie der große Schnauzbärtige Meister, die Kontrolle über den gesamten kreativen Prozess behält; vom Schreiben bis zur Endproduktion, die sie auch selbst macht, jede Schicht minutiös auf eine weitere Schicht modellierend. Und da geht es schief: Es ist stellenweise wirklich zu gekünstelt, und man würde sich wünschen, dass insbesondere die Reverb- und Echo-Möglichkeiten in Pro Tools etwas begrenzter wären. Dosieren ist auch eine Kunst. Eine, die Zappa beherrschte. (Jeroen Mulder) (7/10) (The Mix Sounds)