Justin Bieber – SWAG
|Nach vier Jahren Stille kündigt Justin Bieber sein Comeback mit “SWAG” an, einem Album, das vielleicht mehr Fragen aufwirft als es beantwortet. Der kanadische Popstar überraschte Fans mit weltweiten Plakatwänden in Städten wie Los Angeles, New York und Reykjavik, um dann innerhalb weniger Stunden sein siebtes Studioalbum zu veröffentlichen. Das Ergebnis ist ein 21 Tracks umfassender Versuch einer künstlerischen Neubewertung, der vor allem zeigt, wie schwer es ist, echte Authentizität zu kaufen.
“SWAG” will eine bemerkenswerte Verschiebung in Biebers Sound markieren. Durch die Einbindung der Grammy-Gewinner Carter Lang und Tobias Jesso Jr. könnte man den Eindruck gewinnen, dass Bieber einen Teil seiner künstlerischen Verantwortung abgeben möchte. Diese strategische Entscheidung hat zu einem experimentellen R&B-Sound geführt, der zwar intimer und lo-fi klingt, aber die Frage aufwirft: ist das dann Biebers Sound oder der seiner teuren Songwriter? Die Produktion, die von einem beeindruckenden Team einschließlich mk.gee, Daniel Caesar und Dijon betreut wird, schafft tatsächlich eine stimmungsvolle Klanglandschaft. Das Problem ist jedoch, dass das Album vor allem hörbar macht, wie ein Star von Biebers Größe denkt, dass Authentizität klingen sollte. Wenn das sein authentischstes Werk ist, was sagt das dann über alles aus, was davor kam? Und noch wichtiger: was sagt es über Bieber selbst?
Das Album eröffnet mit “All I Can Take”, wo Biebers Gesang sofort von der Produktion überschattet wird. “Daisies” stellt diese Balance einigermaßen wieder her, aber der charakteristische lo-fi Gitarrensound fühlt sich mehr wie eine bewusste ästhetische Wahl als ein natürlicher Ausdruck an. “Devotion”, die Zusammenarbeit mit Dijon, wird als Album-Höhepunkt präsentiert. Der Song klingt tatsächlich wie eine warme Umarmung, aber die Textzeile “I’m starting to be open to the idea that you know me, too” wirft die drängende Frage auf: kennt Bieber sich selbst? Nach all den Jahren im Rampenlicht scheint er immer noch auf der Suche nach einer Identität zu sein, die vermarktbar ist. “Dadz Love” reflektiert über die Vaterschaft, was zweifellos eine lebensverändernde Erfahrung ist. Dennoch fühlt sich der Song mehr wie ein verpflichtender Update über Biebers Privatleben als ein aufrichtiger künstlerischer Ausdruck an. Vaterschaft als Marketingstrategie ist nichts Neues in der Popmusik. Die Zusammenarbeiten mit Künstlern wie Gunna, Sexyy Red und Cash Cobain wirken willkürlich. Druskis Zwischenspiele, in denen er bemerkt, dass Bieber auf dem Projekt “kinda sounds Black”, sind nicht nur unangenehm, sondern weisen auf ein tieferes Problem hin: Biebers fortlaufende kulturelle Aneignung. Das kontroverse “Standing on Business” integriert das virale Audiofragment, in dem Bieber zu Paparazzi sagt: “It’s not clocking to you that I’m standing on business, is it?” Diese bewusste Entscheidung, ein Meme zu monetarisieren, zeigt vielleicht am ehrlichsten, wer Bieber wirklich ist: ein Popstar, der jeden Trending-Hashtag in Content verwandelt.
Mit 21 Tracks ist “SWAG” unbestreitbar zu lang, aber das ist symptomatisch für ein größeres Problem. Das Album leidet unter einem Mangel an Fokus und künstlerischer Vision. Quellen beschrieben es im Vorfeld als “darker, more vulnerable and less polished”, aber das Endergebnis fühlt sich sehr poliert und sicher an. Es ist, als ob Bieber und sein Team die perfekte Formel für “authentische” Popmusik zu finden suchten. Die vielen Zwischenspiele und Übergänge scheinen hauptsächlich dazu gedacht, den Eindruck von Kohärenz zu erwecken, wo sie eigentlich fehlt. Das Album fühlt sich mehr wie eine Sammlung von Trends als ein kohärentes künstlerisches Statement an. “SWAG” kommt zu einem strategischen Zeitpunkt. Nach seiner Trennung von Manager Scooter Braun 2023 und öffentlichen Posts darüber, sich “broken” zu fühlen, scheint dieses Album vor allem eine PR-Übung zu sein. Der Schlussakkord “Forgiveness” von Gospel-Sänger Marvin Winans unterstreicht Biebers Suche nach Erlösung, wirft aber vor allem die Frage auf: für wen genau?
Das Timing, das Marketing, die Gästeliste und sogar der “spontane” Album-Drop fühlen sich alle sorgfältig berechnet an. Für einen Künstler, der behauptet, sein authentischstes Selbst zu zeigen, scheint Bieber besonders gut darin zu sein, Authentizität als Produkt zu verkaufen. “SWAG” ist nicht unbedingt ein schlechtes Album, aber es ist ein enttäuschend transparenter Versuch der Imagereform. Es zeigt einen Künstler, der immer noch mit der Frage kämpft, wer er wirklich ist, aber der inzwischen sehr gut weiß, was sein Publikum hören will. Nach einem Durchhören wird besonders deutlich, dass Bieber tatsächlich “standing on business” ist, aber vor allem das Business von Justin Bieber.
Für Fans, die auf echtes künstlerisches Wachstum hoffen, bietet “SWAG” vor allem gut produzierte Illusionen. Für kritische Hörer zeigt es einen Popstar, der nach all den Jahren immer noch keinen Unterschied zwischen Authentizität und Marketingstrategie zu machen scheint. “SWAG” ist ein Album, das beweist, dass man Authentizität nicht kaufen kann, egal wie teuer die Songwriter und Produzenten sind. “SWAG” ist kompetent gemachte Mainstream-Unterhaltung, die sich als etwas Tieferes ausgibt. (6/10) (ILH productions)