Mavis Staples – Sad and Beautiful World
‘Ich bin die Letzte, Daddy, die Letzte von uns,’ singt Mavis Staples mit zitternder Stimme auf “Human Mind”, und in diesem einen Satz bündelt sich die Last von 75 Jahren amerikanischer Musikgeschichte. Das letzte überlebende Mitglied der Staple Singers, die Stimme, die die Freedom Highway neben Martin Luther King Jr. besang, die Frau, die Gospel, Soul und die Bürgerrechtsbewegung untrennbar miteinander verband – sie ist immer noch da, mit 86, und sie hat etwas zu sagen. Wo Aretha Franklin, Ella Fitzgerald und Nina Simone uns bereits verlassen haben, ist Mavis Staples die vergessene Legende, die sich weigert zu verschwinden. Und mit “Sad and Beautiful World”, ihrem vierzehnten Soloalbum, liefert sie den Beweis, dass sie vielleicht eine der wichtigsten amerikanischen Stimmen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts ist. Dies ist kein nostalgischer Abschied, keine sentimentale Ehrenrunde. Dies ist eine Erklärung einer Künstlerin, die noch relevanter ist als die meisten Musiker, die ein Drittel ihres Alters haben.
Als Staples Anfang August in einem ausverkauften TivoliVredenburg auftrat, schlurfend in ihren Slip-ons zum Mikrofon, geschah etwas Magisches. Diese tiefe, erdige, spirituelle Stimme füllte den Raum, als sei kein einziger Tag seit den Glanzzeiten der Staple Singers vergangen. An diesem Abend sang sie “Chicago” und “Human Mind”, Lieder, die drei Monate später das Herzstück dieses Albums bilden würden. Es war schon damals klar: Hier steht jemand, der die Essenz amerikanischer Musik noch immer versteht.
Produzent Brad Cook, der kürzlich mit Waxahatchee und Bon Iver Triumphe feierte, wählt einen brillant einfachen Ansatz: Er baut alles um Mavis’ Stimme herum auf. Er begann die Sessions bei Lost Boy Sound und Chicago Recording Company nur mit Schlagzeug und Klavier, nahm zuerst ihre Vocals auf und fügte die Instrumentierung danach hinzu. Das Ergebnis ist eine Produktion, die so transparent ist, dass man jedes adrige Detail ihrer 86-jährigen Stimmbänder hört, jeden emotionalen Bruch, jede Atempause – und genau das ist beabsichtigt. Dies ist keine Stimme, die poliert werden muss; es ist eine Stimme, die durch 75 Jahre Geschichte geformt wurde.
Die Songauswahl ist brillant und unerwartet. Der Eröffnungstrack “Chicago”, geschrieben von Tom Waits und Kathleen Brennan, wird zu einer persönlichen Geschichte über die Great Migration, die die Familie Staples selbst unternommen hat. Mit Buddy Guy an der Gitarre – der dieselbe Reise vom Süden nach Chicago gemacht hat – und Derek Trucks’ gleitenden Slides wird der Song zu einer Lokomotive, die mit der Kraft einer Massenmigration vorwärts rast. Hier gehört Staples’ Stimme hin: breit, warm, gefüllt mit der Geschichte tausender Stimmen, die denselben Weg vor ihr gegangen sind.
“Beautiful Strangers” von Kevin Morby erhält in Staples’ Händen neue Dringlichkeit. Die Verweise auf Polizeigewalt, den Tod von Freddie Gray, den Pulse Nightclub Shooting – sie singt sie mit der autoritativen Ruhe von jemandem, der all das schon gesehen und überlebt hat. MJ Lenderman und Rick Holmstrom liefern subtile Gitarrenlinien, die den Worten Raum zum Atmen und Gewicht geben.
Der Titelsong “Sad and Beautiful World”, ursprünglich von Mark Linkous’ Sparklehorse aus dem Jahr 1995, ist ein Trauermarsch, der von der unmöglichen Versöhnung zwischen ‘sad’ und ‘beautiful’ handelt. Linkous, der 2010 Selbstmord beging, schrieb das Lied im Nachgang seiner beinahe tödlichen Überdosis. Colin Croom von Twin Peaks liefert Pedal Steel, das sich wie eine Klage durch den Song windet. Staples’ flüsternde Intensität verwandelt den Song in einen Segen: ‘Sometimes days go speeding past, sometimes this one seems like the last.’ Ihre Interpretation ist eine Meditation über Sterblichkeit von jemandem, der das Ende kommen sieht, aber weiterhin die Schönheit sucht.
Das emotionale Zentrum des Albums ist “Human Mind”, der einzige originale Song, speziell für dieses Projekt von Hozier und Allison Russell geschrieben. ‘Even in these days I find, this far down the line, I find good in us, sometimes,’ singt sie, ihre Stimme schwebt über dem letzten Wort, als müsse sie sich selbst überzeugen. Staples gab zu, dass sie bei der ersten Aufnahme weinte; es ist nicht schwer zu verstehen, warum. ‘I deal in loss, Daddy, I am the last, Daddy, last of us. Ain’t always easy to believe. I miss my family.’ Dies ist ein Muscle Shoals-ähnlicher Crescendo, in dem acht Jahrzehnte amerikanischer Geschichte auf eine einzige Stimme herabfallen.
Leonard Cohens “Anthem” wird zu einer Hymne der Widerstandskraft. Die Art, wie sie mit fortschreitendem Song Kraft sammelt, wie ihre Stimme bei der Zeile ‘they’re going to hear from me’ vor Emotionen bricht, wie sie 250 Jahre amerikanische Geschichte in der Phrasierung eines einzigen Wortes, ‘thundercloud’, hervorruft, mitten in dem düsteren, bläserreichen R&B-Arrangement – das ist Handwerkskunst auf höchstem Niveau.
Curtis Mayfields “We Got To Have Peace” wird gesungen, als wäre es gestern geschrieben worden. Und warum nicht? Die Kriege, die Mayfield beschrieb, die Führer ‘too dumb to understand the message’, Staples singt es 2025 mit derselben Dringlichkeit wie in den siebziger Jahren. Ihre Arbeit ist nicht abgeschlossen. Dr. King wäre stolz gewesen, aber nicht überrascht.
Das Album endet mit Eddie Hintons “Everybody Needs Love”, eine Anspielung auf die Muscle Shoals-Aufnahmesessions der Staple Singers. Es ist eine sanfte Landung nach einer emotional erschöpfenden Reise, eine Erinnerung daran, dass Liebe und Verbindung letztlich siegen.
Wenn man Kritik anbringen wollte, dann dass einige Songs in der Mitte, “Hard Times” und “Godspeed”, etwas weniger dringlich wirken als der Rest. Gillian Welchs “Hard Times” ist wunderschön gesungen, erreicht aber nicht die emotionale Wucht der Höhepunkte. Frank Oceans “Godspeed” funktioniert besser, doch auch hier hat man das Gefühl, dass Staples noch etwas tiefer hätte graben können.
Aber dies sind kleine Anmerkungen zu einem Album, das im größeren Sinne ein Triumph ist. “Sad and Beautiful World” ist ein Monument einer Künstlerin, die sich weigert zu schweigen, die mit 86 Jahren immer noch an die Kraft der Musik glaubt, Menschen zu erreichen, zu verändern und zu trösten. Es ist ein Album, das zeigt, dass Erfahrung, Lebenslektionen und Ausdauer letztlich mehr zählen als jugendliche Energie.
Ein Meisterwerk? Die Zeit wird es zeigen. Zehner werden nicht einfach vergeben; man verdient sie erst, wenn das Werk die Zeit überdauert. Aber dies ist ohne Zweifel eines der stärksten Alben in Staples’ beeindruckender zweiter Karriere und ein wesentliches Dokument einer lebenden Legende, die uns weiterhin daran erinnert, wozu amerikanische Musik in ihrer reinsten Form fähig ist. Mavis Staples ist die Letzte ihrer Generation. Lassen wir uns hören, solange wir noch können. (9/10) (Anti Records)

